*Geschichten einer Auslaenderin*
Samstag, 30. Dezember 2006
Russische Kultur/Literatur
Bei der Disskussion(https://auslaenderin.blogger.de/stories/645084/#647994) habe ich Entscheidung getroffen, ein neues Thema anzufangen.
Nun ein bisschen ueber Russland bzw. ueber die Vorstellung, die man da und im Westen vom Land hat. Es beeinfluesst auch die Wahrnehmung der Literatur und andere Kunstwerke, nicht wahr?
Ich hab' das Gefuehl, dass die Deutschen ungefaehr solche Assoziationen zum Wort "Russland" haben: Wodka - "Kalinka" (das Lied) - "Babuschka" (warum nennt man so in Deutschland diese Holzpuppen? "Babuschka" heisst "Oma" und hat mit dieser Spezialitaet nichts zu tun; in Russland nennt man sie "Matreschka") - Moskau (sehr abstrakt, nur als Haupstadt). Koennte man ueberhaupt Interesse zum Kultur solches Landes haben? Man zweifelt eher, ob es da Kultur gibt.
Meine Assoziationen zum Wort "Russland":
- Das groesste Land auf der Erde;
- Der Sieg im Zweiten Weltkrieg;
- Erster Kosmonaut war ein Russe (J. Gagarin);
- Die Birke (als Symbol);
- ...
Ist schon besser, oder?
Mein persoenlicher Eindruck ist, dass man in Russland schon immer mehr auslaendische Literatur gelesen hat, als umgekehrt - s. oben.
Das ist ja auch nicht so schlimm - ich kenne z. B. die chinesische Literatur auch nicht. Einfach schade...
Ich wurde gefragt, ob ich irgendein russisches Buch empfehlen kann. Natuerlich! Aber zunaechst moechte ich wissen, wofuer interessieren Sie sich genau? Moderne Literatur oder eher Klassik?

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Erster Kosmonaut ...
ja, da sag ich mal Respekt.

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Ihre Assoziationen sind wirklich etwas anders als unsere ;-). Sehr interessant. Hm. Ich assoziiere spontan Weite, schwermütige Musik, Kommunismus, Armut.

Mich persönlich interessiert eher die Moderne und zwar diejenigen Autoren, die den Eindruck vom Leben in dem betreffenden Land auch in gut lesbare Geschichten verpacken. Elfenbeintürme, gedrechselte Wortungetüme und l'art pour l'art interessieren mich weniger.

Zu bildenden Künsten oder Musik kann ich jetzt leider nichts sagen, weil ich mich damit noch weniger auskenne als mit Ihrer Literatur... ;-)

Übrigens finde ich es wirklich toll, dass Sie Ihr Heimatland genannt haben und uns ein bißchen Nachhilfe darüber geben wollen. ;-)

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Für mich auch eher die moderne Literatur. Auch wenn ich mir die Klassiker irgendwann mal vornehmen wollte, aber, ach... ;-)

Ich assoziiere mit Russland übrigens auch Kunst, z.B. Ikonen, aber auch Fresken. Mal nur so als Beispiel .

Dann Wodka, aber auch Tee. Und St. Petersburg.

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Ja, die Assoziationsreihen sind immer interessant. :) Novemberregen, Tee ist genau richtig. :) Ikonen und Fresken auch, aber als Unglaeubige interessiere ich mich eher fuer die Museen und Bilder. St. Petersburg ist natuerlich eine einzigartige und schoene Stadt, aber wenn man eine bessere und richtigere Vorstellung vom Land gewinnen will, wuerde ich empfehen, Moskau zu besuchen. Diese Stadt ist meiner Meinung nach "russischer".
Jetzt zur "modernen" Literatur! Ich wuerde sagen, "Der Meister und Margarita" von Michail A. Bulgakow passt ideal. Das Buch ist zwar nicht heute erschienen und schildert die Wirklichkeit der Sowjetunion. ABER: Die Leitmotive sind Liebe und Verrat, es gibt viel Handlung (sogar mit Elementen von Fantasy) und sowohl die Sprache als auch die Ideen sind einfach perfekt.
Ich hab' auch einigen Verwandten und Bekannten gefragt, was sie zur Frage sagen koennen. Die Meisten antwortetn: "Akunin". Die Buecher von diesem Schriftsteller - er ist uebrigens unserer Zeitgenosse - habe ich persoenlich nicht gelesen, nur die Verfilmungen gesehen. Soweit ich weiss, schreib er eher "Geschichtsromane/-krimi".
Wenn es mir noch etwas einfaellt, werde ich's hier aufschreiben. Noch Fragen? :)

Ach ja, einen guten Rutsch ins neue Jahr! Es ist uebrigens der Hauptfest in Russland... :)

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Also ich assoziiere mit Russland in erster Linie die Vorstellung von Menschen mit Pelzkappen auf dem Kopf, die in der Moskauer U-Bahn dicke Bücher von Tolstoi oder Dostojewski lesen, allesamt brilliant Schach spielen können, trinkfest sind (na sdarowje!) und schwermütige Musik lieben. Das sind natürlich alles billige Klischees, ansonsten habe ich aber auch noch sehr viel Sowjet-Folklore vor Augen, rote Sterne, Militärparaden auf dem roten Platz, Raketentransporter, Kalaschnikow-Sturmgewehre, MiG-Kampfjets und all so Sachen.

Als jemand, der einen slawischen Nachnamen trägt, der genauso endet wie Lenin, Stalin, Gagarin, Jelzin nd Putin sollte ich eigentlich mehr wissen über dieses große Land, das ich immer mit einer Mischung aus Grauen und Faszination betrachte...

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Ach, die Klassik interessiert jeztz nur wenige Menschen! :( Jedoch gilt es genauso fuer andere Laender.
"Na sdorowje" schreibt man auf Russisch so, wie ich es jetzt gemacht habe (natuerlich unterscheiden sich einige Buchstaben). "Sdorowje" heisst eigentlich Gesundheit; "Na sdorowje" kann man allgemein am Esstisch sagen, z. B.: "Das Essen ist lecker! Danke." - "Na sdorowje". Oder sogar ohne Besug zum Essen. Fehler ist selbstverstaendlich nicht dramatisch - in Moskau und derem Region sagt man statt "o" etwas in der Mitte zwischen "o" und "a". :)

Weiter geht's. Ich kann z. B. gar nicht Schach spielen und kenne keinem, der es gut macht. In der Sowjetunion war das Spiel aber ziemlich populaer.

Kalaschnikow, MiGs usw sind bis jetzt gut genug. :) Das stimmt!

Sowjetische Propaganda hat schon in der Sowjetzeit mehrere Menschen irritiert.

mark793, sind Sie sicher, dass Ihr Name slawisch ist? "Berlin" endet genauso wie "Putin", aber ich zweifle daran, dass die Stadt von den Slawen gebaut wurde. ;) Wenn Sie jedoch noch irgenwas ueber Russland wissen moechten, werde ich es Ihnen gerne erzaehlen.

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@slawischer Name:
Da mein Vater von den Deutschen als Fremdarbeiter aus der Ukraine ins Reich verschleppt wurde, bin ich mir ziemlich sicher, dass mein Nachname slawisch ist. Der Schwager eines berühmten russischen Romanciers hieß übrigens auch so, aber das wollen wir hier bitte nicht weiter vertiefen, sonst steh ich da wie der Idiot, und Sie müßten Schuld und Sühne tragen. ;-)

Also das ganz große Rätsel Russlands ist für mich, wie dieses Land das Joch der Leibeigenschaft abschütteln konnte, nur um eine rote Diktatur zu erreichten, und jetzt nach ein bisschen Glasnost und Reformgedöns zeigt sich, dass Putins Regime nicht viel demokratischer ist als alles vorherige - nur mit dem Unterschied, dass sich ein paar Oligarchen jetzt bereichern dürfen und die orthodoxe Kirche wieder was zu melden hat. Kann Russland wirklich nur mit der Knute regiert werden - oder was ist das Problem?

(Zugegeben, hier in Deutschland-West waren es nach dem Krieg die alliierten Westmächte, die demokratische Strukturen schufen. Aus eigener Kraft hätten die Deutschen diesen Weg vielleicht auch nicht geschafft nach Kaiserreich und Nazidiktatur.)

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Na gut. :)

Ha, da hoere ich etwas von Politik! :) Naehmlich – demokratisch oder undemokratisch? Ich weiss, die Medien im Westen stellen es gerne so dar, als ob lieber Putin ein Tyran waere. Die Meisten im Westen stellen sich Russland entweder falsch (s. oben) oder gar nicht vor und deshalb vertrauen den Medien in dieser Frage blind. Jedoch ist das Leben mit dem Putin ein bisschen besser geworden und er verletzt keine Menschenrechte wie es z. B. bei Stalin war. Vielleicht bedeutet mein Wort etwas fuer Sie. Klar, geht es nicht allen gut – jedoch wer koennte sagen, es gibt in EU oder USA keine unglueckliche/arme/unzufriedene/... Leute? Ueberall sind Probleme.
Oligarchen gab es vor Putin, waehrend „Perestojka“. Das waren die Zeiten, die Europa schon seit Jahrzehnten nicht erlebt hat. Z. B. Chodarkowski sitzt im Gefaengnis – das geschah doch bei Putin.
Und noch ein Aspekt zum Vergleich: Meiner Meinung nach handelt lieber Bush viel undemokratischer! Ich hab’ immer wieder das Gefuehl, dass sein Gedankengang ungefaeher so waere: „Ich brauche billiges Oel. Super, dann geht’s nach Irak weiter. Da gibt es keine Menschenrechte – wenn du kein Amerikaner ist, darf jeder Amerikaner dich toeten. Als Motto benutzen wir… am liebsten Kampf um Demokratie.“ :( :( :(

Zur Diktatur: Ich glaube, die Gesellschaft war damals einfach nicht bereit, die kommunistischen Ideen zu verwirklichen. Die Bevoelkerung bestand zum groessten Teil aus Bauern und Arbeiter, die oft Unalphabeten waren. Bei den Zaren war alles ganz klar: Ich bin fast eine Sklawe, meine Eltern waren es auch, ich muss fuer die anderen arbeiten - es ist NORMAL. Als die Kommunisten sagten: „Ihr seid frei“, haben die Meisten keine Ahnung, was sie mit dieser Freiheit machen sollten und wie sie bitter schoen weiter ohne eine Person, deren Wort als Befehl zu verstehen ist, ueberleben sollten. Deshalb ist das Land in Stalins Zeit fast zur Absolutismus zurueckgekehrt. Aber das ist ja alles natuerlich nur meine Meinung.
Man muss sich jedoch nicht vorstellen, dass es in Sowjetunion keine Vorteile gab. Wir haben z. B. Deutschland besiegt und andere schoene Dinge gab’s auch. :)

Als wir im deutschen Gymnasium das Thema hatten, habe ich verstanden, dass ich nicht sagen kann, ob ich fuer oder gegen Stalins System bin. Je besser man solche Themen kennt, desto schwieriger ist es, solche Entscheidungen zu treffen. Ohne Repressionen gaebe es wahrscheinlich keinen Sieg, danach - keinen ersten Kosmonaut usw. Waere es fuer das Land besser? Da sind wir schon in einer „if-history“. Aber die Fakten bleiben so, wie sie jetzt sind und auch damals waren. Ich kann nicht sagen, dass es gut oder schlecht war – alles war einfach so und nicht anders.

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Danke für Ihre ausführliche Antwort. Ich hätte vielleicht dazusagen sollen, dass ich das Ideal einer Demokratie auch hier im Westen nicht verwirklicht sehe. Die USA sind in meinen Augen auf dem besten Weg in eine protofaschistoide Präsidialdiktatur mit begrenzter Amtszeit. Und die EU hat auch ein paar strukturelle Demokratie- und Legitimitätsdefizite, deren sich die meisten Mitbürger nur nicht bewusst sind. Wir haben halt den freundlicheren, netteren und besser ausgestatteten Käfig hier, aber es ist und bleibt ein Käfig.

Dass unsere Wahrnehmung von Russland medial gefiltert ist, ist natürlich richtig. Aber der Spin hat sich ja erst mit der Zeit gedreht. Zwischenzeitlich sind Gorbatschow, Jelzin und auch Putin als große Reformer, Demokraten und was weiß ich gefeiert worden. Aber das strukturelle Problem, dass man nach dem Fall des Zaren nicht einfach Freiheit per Befehl herstellen konnte für Leute, die nie gelernt haben, damit umzugehen, das ist mir schon klar. Eben dieses Problem wirkt ja bis heute fort, vermute ich.

Auf den Themenkomplex Stalin etc. komme ich gern später nochmal zurück...

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Wenn Sie mir nach Russland fragen, werde ich fast immer sehr ausfuehrlich antworten - das Thema liegt mir am Herzen. :) Wenn es Ihnen langweilig wird, sagen Sie bitte Bescheid, von selbst kann ich nicht aufhoeren. :)

Ach, meiner Meinung nach kann es keinen Paradies auf der Erde geben. Alle politische Systeme sind nicht ideal. "Freiheit, Gleichheit, Bruderlichkeit" kann auch nicht geben, weil die Menschen von Natur aus nicht gleich sind. Wer viel und gut arbeitet bzw. Talente hat, gehoert oft zu den hoeheren Schichten der Bevoelkerung, haben mehr Macht usw. Es ist einigermassen auch gerecht.
Jedoch bin ich froh, dass Sie die USA nicht als Vorbild betrachten. :)

In Russland gibt es verschiedene Meinungen zum Thema: "Wer ist besser als Praesident?" Das Wichtigste ist aber: Das Wieder- bzw. Neuaufbau des Staates ist nicht die Sache eines Jahres. Dafuer muss man Zeit und Geduld haben...

Es gibt noch ein grosses Problem in Russland, das ich erst hier erkannt habe. Im Gegenteil zum Europa hatte man da kein eigenes privates Vermoegen, das irgenetwas Wert war. Menschen, die kein eigenes Vermoegen haben, respektieren auch das fremde nicht. Hoffentlich wird es sich aendern...

Gut, ich bin auch fuer Diskussion ueber Stalin. Das Thema ist nicht einfach... Soll ich ein neuer Beitrag dafuer schreiben?

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Ja, gerne,
wenn es Ihnen nicht zuviel wird. ;-)

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jou genossin..
hab grad festgestellt, dass ich hier ja eine gleichgesinnte gefunden habe *freu mich*
ich werd jetzt nichts mehr zu den Assoziationen sagen, da ich mich nur unnötig wiederholen würde...
Bezüglich der Literatur würde ich dir völlig zustimmen!ich gehe in deutschland seit der 4. Klasse zur Schule und ich muss sagen viel ausländische literatur habe ich in der zeit hauptsächlich nur privat gelesen. Während ich in Russland bis zur 5. Klasse(für alle, die es nicht wissen-die 4. klasse wird in russland übersprungen) neben Puschkin und Jessenin auch schon mark twain, jules vernes, hitchcock, shakespeare sogar schiller+goethe kennengelernt habe. hier habe ich, außerhalb meines Slavistikstudiums und meinem privaten interesse, in der ganzen schulzeit, nur den holländischen Autoren Marten at'haart (weiß nicht, obs richtig geschrieben ist,zu faul das buch zu holen) kennen lernte.
es gibt natürlich sehr viele gute deutsche Autoren...aber, dass viele deutsche noch nichtmals russische autoren wie tschechow kennen, finde ich sehr traurig!

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ich scho widda
da der text sonst zu lang geworden wäre, dachte ich, ich schreib einfach ma nen neuen!
denn eins muss ich noch unbedingt loswerden. ich würde auch sehr gerne wissen, wer den deutschen eingeprägt hat ständig die "Matrjöschka" "Babuschka" zu nennen. Es scheint mir ein mysterium zu sein, an dem komischerweise viele deutsche sehr fest halten. Es gab in meiner erfahrung sogar tatsächlich welche, die mit mir eine diskussion angefangen haben und mich tatsächlich davon überzeugen wollten, mit aller kraft, dass es "Babuschka"heißt. Dass ich aus Russland komme und es besser wissen sollte, war meinem gegenpart da auch ganz egal!
du musst mir unbedingt bescheid sagen wenn du von demjenigen spuren findest, der das falsche gerücht in die welt gesetzt hat....vor allem vom sinn ergibt es doch überhaupt keine bedeutung. "matrjöschka" ist , so weit ich weiß, eine bezeichnung für eine faru/mädchen im traditionellen russischen gewand, während "Babuschka" sowas wie Ömachen heißt(also ne andere form von Oma). wer denkt sich nur sowas aus?

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Die 4. Klasse wird in Russland nicht in allen Schulen und sogar Klassen uebersprungen.
Aber ja, die auslaendische Literatur wird in deutschen Gymnasien irgendwie vernachlaessigt. :( Die "Qualitaet" des Deutschunterrichts finde ich aber trotzdem super und meistens macht es mir Spass, Texte zu untersuchen. :)

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Letzte Aktualisierung: 2008.10.10, 12:35
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